24. März 2009

Die Welt riecht süß nach Gestern

Er ist wieder da. Auch wenn es hagelt und der Wind pfeifend die letzten Passanten aus den Bars nach Hause eilen lässt. In seiner Umarmung werde ich einschlafen, seine Küsse werden zu meinen. Frühling ist da, bald ist wieder Aprilzeit... Vermisse Dich, mein bien-aimé... (Die Bilder wurden in den letzten Tagen gemacht.)

Eduard Mörike "Frühling läßt sein blaues Band"Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen
Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab ich vernommen!





Else Lasker-Schüler "Nur dich"


Der Himmel trägt im Wolkengürtel
Den gebogenen Mond.

Unter dem Sichelbild
Will ich in deiner Hand ruhn.

Immer muß ich wie der Sturm will,
Bin ein Meer ohne Strand.

Aber seit du meine Muscheln suchst,
Leuchtet mein Herz.

Das liegt auf meinem Grund
Verzaubert.

Vielleicht ist mein Herz die Welt,
Pocht

Und sucht nur noch dich
Wie soll ich dich rufen?




Die Welt riecht süß
nach Gestern.
Düfte sind dauerhaft.

Du öffnest das Fenster.
Alle Frühlinge
kommen herein mit diesem.

Frühling der mehr ist
als grüne Blätter.
Ein Kuß birgt alle Küsse.

Immer dieser glänzend glatte
Himmel über der Stadt,
in den die Straßen fließen.

Du weißt, der Winter
und der Schmerz
sind nichts, was umbringt.

Die Luft riecht heute süß
nach Gestern –
das süß nach Heute roch.





Bilder sind copyright von S. und Ann.

22. März 2009

Existentielle Frage

Aus der Kolumne "Fragen Sie Reich-Ranicki" : Sollte der Richter kein Dichter sein?

"Was halten Sie eigentlich von den Büchern des dichtenden Juristen Bernhard Schlink? Können Sie den Welterfolg des „Vorlesers“ nachvollziehen? Dr. Walter Karsten, Saarbrücken

Marcel Reich-Ranicki: Aber gewiss doch. Über den „Vorleser“ lässt sich viel Gutes sagen. Das ist ein unterhaltsamer, spannender Roman, der die Leser nicht nur amüsiert, sondern zugleich in mancherlei Hinsicht belehrt. Auch psychologisch recht interessant.

Was stört Sie daran, dass Schlink ein „dichtender Jurist“ ist? Auch Heine war ein dichtender Jurist, auch der Geheimrat aus Weimar. Und das sind doch nicht die kümmerlichsten deutschen Autoren." Quelle

André Kertész

André Kertész (1894, Budapest - 1985, New York)

Interessante BBC-Reihe "Andre Kertesz - Master Photographers" (1983)



Fortsetzung: Teil 2, Teil 3, Teil 4

"(...) Er hatte alles, was ein Photograph braucht: Neugier, Lust am Bild, Geduld und - Glück. Er war ein Pionier der frühen Reportagephotographie. Seine Bilder sind erste Zeugnisse einer neuen Sehweise mit dem Photoapparat. Ihm wurden die Wirklichkeit und der „genaue Augenblick" wichtiger als die Inszenierung. Seine ältesten erhaltenen Bilder dieser Art, bewegende Zeitstücke aus seiner Heimat Ungarn, entstanden 1912. Nach dem Ersten 'Weltkrieg, in den er freiwillig (und mit der Kamera) zog, ging Kertesz nach Paris und wurde dort in wenigen Jahren berühmt. Einige seiner Bilder gerieten für die Bewunderer bald zu Ikonen: „Der Schwimmer unter Wasser" für die Surrealisten, »Die Gabel am Tellerrand" für die Neusachlichen. Kertesz war bald überall vertreten, in den französischen wie deutschen Illustrierten und auf internationalen Ausstellungen. Bereits 1929 kauften Museen (in Zwickau und Berlin) seine Bilder. Diese Glückssträhne riß plötzlich ab, als Kertesz 1936 nach New York ging: Ihm blieb der harte amerikanische Dokumentationsstil fremd; seine besten Bilder waren Beobachtungen ohne Auftrag. Er hatte Leichtigkeit und Humor, er verlor nie die Unschuld vor dem Bild, er photographierte erklärtermaßen nach Gefühl. Das ging manchmal daneben, wie seine späten „Fensterbilder" zeigen. Auf sympathische Weise war er sich seiner Bilder selber nie sicher; keinen Zweifel aber ließ er an seinem Platz im Olymp der Photographie: ganz oben. Er wurde ihm von niemandem bestritten. Cartier-Bresson hatte in ihm sogar seine neue „dichterische Kraftquelle" gesehen." Quelle

Seine Meisterwerke kann man sich hier oder hier (zum Blättern Pfeile unten benutzen) anschauen.

7. März 2009

Prelude in a minor

In seinen Augen sah sie Sehnsucht. Zum ersten Mal verbarg er sie nicht. Er stand da, nach den Jahrtausenden der Erwartung. Diesen Moment haben beide ausgemalt, ohne zu wissen, wann und wie es geschehen würde, vorbereitet durch frucht- und sinnlose Beziehungen, Verlobungen und Affären mit den unbedeutenden Anderen.

Es wurde trivialer, als erwartet. Sein Zug kam vierzig Minuten zu spät, sie wartete im blauen Cafe neben der Haltestelle. Er kam rein, seine hellen Augen ließen ihn sofort erkennen und überstrahlten die Sonne. Er lächelte sie verlegen an, gleichzeitig nervös mit den Fingern an der Stuhllehne trommelnd.

Hat sie ihn so vorgestellt? Sie stand auf, um ihm die Hand zu geben, aber plötzlich gab es keine Distanz zwischen ihnen, keine Entfernung und Entfremdung. Sie merkten nicht, wie sich der Boden unter ihnen bewegte. Alles, was sie spürten, war Nähe, eine strömende Wärme, die alles überdeckte und den Atem stoppte. Schnell an die frische Luft, hämmerte es mit den kleinen Nägeln in ihrem Kopf. Alles Andere wäre Verführung ihrer Sinne und Verantwortungslosigkeit ihr selbst gegenüber. Wo wäre ihr eigener Stolz gewesen. Ihm alles verzeihen? Auf keinen Fall!

Aber sie schaffte es nicht, zu denken. Sie folgte ihm, wortlos, folgte ihrer eigenen Hand in seiner warmen. Sie folgte ihm die Treppe hinauf, den Park, die Bänke, ein erster Kuss, sein erster Kuss, seine unrasierte Wange, sein Geruch, den sie furchtlos einatmete und welcher ihren Körper bedeckte. Hotel. Neugierde. Ihr Kleid am Boden, er hatte noch seine Hose an. Kaltes, unbeflecktes Bett. Seine Begierde, ihre eigene. Sie zerflossen mit der Zeit, die ihnen gegeben wurde, im Tanz der Zärtlichkeit. Wieso hat sie so lange darauf gewartet? Wieso hat er die anderen Frauen so lange verführt und sie ausgefüllt? Er kannte die Wirkung seiner Augen und kostete es aus, die Anderen schwach werden zu lassen. Aber nicht sie. Sie war dagegen immun.

Sie öffnete ihre Augen, es war kühl geworden. Er war immer noch da, eingeschlafen, seine Hand auf ihrer linken Brust. Obwohl sie bereits Gänsehaut bekommen hatte, wollte sie sich nicht bewegen, um ihn nicht zu wecken.
Er hat kurz gehustet, machte die Augen gar nicht auf und zog sie an sich.

"Hast du es dir so vorgestellt?" - fragte er leise.


Baden Powell spielt "Prelude in a minor"



Antonio Carlos Jobim "Luiza", gespielt von Raphael Rabello