19. Oktober 2009

Das Unberührbare berühren..

Aus dem Interview mit dem israelischen Autor Amos Oz: Meine bösen deutschen Nächte
"Welche Erfahrungen verdanken Sie der deutschen Literatur?


In den fünfziger Jahren, als Teenager und in meinen frühen Zwanzigern, habe ich Deutschland so sehr verabscheut, dass ich schwor, nie deutsche Produkte zu kaufen, Deutschland nie zu besuchen und nie deutsche Freunde zu haben. Das einzige, das ich nicht boykottieren konnte, war die deutsche Literatur, weil ich sonst das gleiche getan hätte, wie die Nazis. Ich las also in Übersetzung die Romane von Heinrich Böll, von Siegfried Lenz, Günter Grass und Ingeborg Bachmann - die Bücher aller großen Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur. Und diese Schriftsteller öffneten mir die Augen und das Herz, sodass ich Deutschland nicht länger verachten konnte. Sie boten mir Gelegenheit, meine eigenen Vorurteile zu zerschlagen, und als ich Deutschland 1982 zum ersten Mal besuchte, war ich durch das Lesen dieser Bücher vorbereitet.
(...)

Worin liegt die Schönheit der Wüste?

Das habe ich in einigen meiner Bücher zu beschreiben versucht, ich will Ihnen also nur dieses sagen: Ich mache jeden Morgen einen kurzen Spaziergang in die Wüste - noch vor Sonnenaufgang und meist nicht länger als zwanzig Minuten. In meinem Teil der Welt handelt es sich um eine Bergwüste, nicht um eine Ebene. Es gibt Pfade in dieser Wüste, und wenn man einen von ihnen entlanggeht, tritt man in die Fußstapfen von Menschen, die vor tausenden von Jahren lebten. Von Schäfern und Nomaden, von Kamelkaravanen. Doch wenn man aus dem Pfad heraustritt, geht man einen Weg, den nie zuvor ein menschlicher Fuß beschritten hat, und diese Vorstellung macht für mich die Besonderheit der Wüste aus.

Erleben Sie diese Spaziergänge als ein Gleichnis für Ihre Arbeit als Schriftsteller?

Das haben Sie ganz richtig erkannt. Wenn ich schreibe, trete ich in die Spuren meiner großen Vorfahren und Mentoren und versuche zugleich, in neues, unbekanntes Land vorzudringen. Es ist wie in der Liebe. In der Liebe tust du Dinge, die Abermillionen von Menschen vor dir getan haben, und dennoch erscheint es dir wie das allererste Mal.

Worin besteht die Erotik des Schreibens?

In dem Verlangen, das Unberührbare zu berühren." weiter lesen


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