10. Mai 2011

Wieder

Wenn man erschöpft von der Wärme, von der Arbeit, bepackt mit dem Verheilten sich einfach vor sich hin in einer fremden Stadt verirrt, höre ich in mir immer wieder dieses Lied... spüre kurz Melancholie und wende mich lachend dem Leben zu, dem schönen Leben.

Eva Cassidy "Autumn leaves"



Siegfried Lenz "Schweigeminute" (ein kleiner Auszug)

"Ich setzte mich ans Fenster und blickte hinaus in die Dämmerung, während sie sich im Badezimmer umzog und dabei das Radio einschaltete, summend begleitete sie Ray Charles. Sie trug einen leichten blauen Rollkragenpullover, als sie wieder erschien, sie kam gleich zu mir und wischte mir übers Haar und beugte sich dann zu mir und versuchte, meinen Blick aufzunehmen. Unsere Katarina war nicht mehr zu sehen. Du sagtest: "Das Schiff ist wohl auf dem Heimweg"; und ich: "Es ist nicht sehr weit bis zu uns." "Und zu Hause", fragte sie besorgt, "wird man Sie nicht vermissen zu Hause?" "Frederik wird ihnen erzählen, was sie wissen wollte", sagte ich, "Frederik arbeitet für meinen Vater." Sie lächelte, vermutlich empfand sie ihre Besorgnis als unangebracht oder sogar als verletzend, weil sie mich an mein Alter erinnerte, sie streife einen Kuß an meiner Wange ab und bot mir eine Zigarette an. Ich lobte ihr Zimmer, und sie stimmte in mein Lob ein, lediglich das Bettzudeck schien ihr zu schwer zu sein, sie glaubte, nachts Atemschwierigkeiten zu bekommen. Sie hob das Zudeck einmal kurz an, und dabei fiel ein glühendes Klümpchen auf das Laken, worauf sie einen kleinen Schreckenslaut ausstieß und die Brandstelle mit der flachen Hand zudeckte. "My God", flüsterte sie, "oh my God." Sie deutete auf den kleinen schwarzgeränderten Brandfleck, und da sie ihren Selbstvorwurf wiederholte, umarmte ich sie und zog sie an mich. Sie war nicht erstaunt, sie versteifte sich nicht, in ihren sehr hellen Augen lag ein träumerischer Ausdruck, vielleicht war es auch nur Müdigkeit, du neigtest mir dein Gesicht zu, Stella, ich küsste dich. Ich spürte ihren Atem, den leicht beschleunigten Atem, ich spürte die Berührung ihrer Brust, ich küsste sie noch einmal, und jetzt löste sie sich aus meiner Umarmung und bewegte sich ohne ein Wort zum Bett. Sie wollte nicht, daß ihr Kopf in der Mitte des Kopfkissens lag, es war ein breites, geblümtes Kopfkissen, das Platz für zwei bot, mit einer beherrschten Bewegung warf sie sich auf und gab die Hälfte des Kopfkissens frei oder trat sie mir ab, ohne ein Zeichen, ohne ein Wort, dennoch bewies mir das Kopfkissen eine unübersehbare Erwartung. (...)

Es war kein doppelter Abdruck, den das Kopfkissen bewahrte, einmal wandten sich unsere Gesichter einander zu, kamen einander so nahe, daß nur ein einziger großer Abdruck zurückblieb.(....)"

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