17. August 2011

Zärtlichkeit

Gertrud Kolmar


Ich denke dein,
Immer denke ich dein.
Menschen sprachen zu mir, doch ich achtet es nicht.
Ich sah in des Abendhimmels tiefes Chinesenblau, daran
der Mond als runde gelbe Laterne hing,
Und sann einem anderen Monde, dem deinen, nach,
Der dir glänzender Schild eines ionischen Helden vielleicht
oder sanfter goldener Diskus eines erhabenen Werfers wurde.
Im Winkel der Stube saß ich dann ohne Lampenlicht,
tagmüde, verhüllt, ganz dem Dunkel gegeben,
Die Hände lagen im Schoß, Augen fielen mir zu.
Doch auf die innere Wand der Lider war klein und unscharf
dein Bild gemalt.
Unter Gestirnen schritt ich an stilleren Gärten, den Schatten-
rissen der Kiefern, flacher, verstummter Häuser,
steiler Giebel vorbei
Unter weichem düsteren Mantel, den nur zuweilen
Radknirschen griff, Eulenschrei zerrte,
Und redete schweigend von dir, Geliebter, dem lautlosen,
dem weißen mandeläugigen Hunde, den ich geleitete.
Verschlungene in ewigen Meeren ertrunkene Nächte!
Da meine Hand in den Flaum deiner Brust sich bettete
zum Schlummer,
Da unsere Atemzüge sich mischten zu köstlichem Wein,
den wir in Rosenquarzschale darboten unserer Herrin,
der Liebe,
Da in Gebirgen der Finsternis die Druse uns wuchs und
reifte, Hohlfrucht aus Bergkristallen und fliedernen
Amethysten,
Da die Zärtlichkeit unsere Arme Feuertulpen
porzellanblaue Hyazinthen aus welligen, weiten, ins
Morgersgraun reichenden Schollen rief,
Da, auf gewundenem Stengel spielend, die halberschlossene
Knospe des Mohns wie Natter blutrot über uns züngelte,
Des Ostens Balsam- und Zimmetbäume mit zitterndem
Laube um unsere Lager sich hoben
Und purpurne Weberfinken unserer Munde Hauch in
schwebende Nester verflochten. -
Wann wieder werden wir in des Geheimnisses Wälder fliehn,
die, undurchdringlich, Hinde und Hirsch vor dem
Verfolger schützen?
Wann wieder wird mein Leib deinen hungrig bittenden
Händen weißes duftendes Brot, wird meines Mundes
gespaltene Frucht deinen dürstenden Lippen süß sein?
Wann wieder werden wir uns begegnen?
Innige Worte gleich Samen von Wurzkraut und Sommer-
blumen verstreun
Und beglückter verstummen, um nur die singenden
Quellen unseres Blutes zu hören?
(Fühlst du, Geliebter, mein kleines horchendes Ohr, ruhend
an deinem Herzen?)
Wann wieder werden im Nachen wir gleiten unter zitronfarbnem
Segel,
Von silbrig beschäumter, tanzender Woge selig gewiegt,
Vorüber an Palmen, die grüner Turban schmückt wie den
Sproß des Propheten,
Den Saumriffn ferner Inseln entgegen, Korallenbänken,
an denen du scheitern willst?
Wann wieder, Geliebter . . . wann wieder . . ? . .
Nun sintert mein Weg
Durch Ödnis. Dorn ritzt den Fuß.
Bäche, frische, erquickende Wasser, murmeln; aber ich finde
sie nicht.
Datteln schwellen, die ich nicht koste. Meine verschmachtende
Seele
Flüstert ein Wort nur, dies einzige:
»Komm. . .«
O komm ...

aus: “Gedichte”
Lizenzausgabe Suhrkamp Verlag 1996
© Kösel-Verlag, München 1980