31. Dezember 2013

Shabbat shalom oder Happy New

Augenblick 

Dich berühren mit dem Blick, 
Wenn die Augen schlafen. 
Rot im Wein beschmutzt dein Mund
Schmeckt nach Leben saftig. 

31. Dezember 2013
 

Als dieses Blog vor 7 Jahren öffentlich gemacht wurde, war es Neujahr und ich wünschte damals meinen Freunden, Lesern und jedem etwas Schönes mit den Briefen von Robert und Clara Schumann, wie auch mit ihrer Musik. Ich denke, ich setze diese Tradition in diesem Jahr wieder fort. Zumal zum Neujahr wünscht man den Anderen von ganzem Herzen ehrlich etwas.

Doch zunächst möchte ich all diejenigen, die es nicht betrifft, um Verzeihung für die nachfolgenden drei Absätze bitten. Da man aber zu ehrlichen Wünschen von ganzem Herzen verpflichtet sei, muss ich in den kommenden drei Absätzen zur Abwechslung endlich all den Personen zunächst gratulieren, dank deren Bemühungen meine letzten Jahre besonders besonders ausfielen. Meine Sprache darin entspricht überhaupt nicht meiner Art, aber ich muss, da einige von ihnen dieses Blog leider immer noch lesen und ich es nicht wünsche. Für alle Anderen geht es nach diesen drei Punkten weiter.

(1. Für den erniedrigenden Psychoterror an meinem ehemaligen Arbeitsplatz in Saarbrücken vor einem Jahr und besonders die Folgen, die ich physisch und in meinem Inneren davon trug, möchte ich vor allem den drei Kolleginnen, eingeschlossen meine Vorgesetzte, mit denen ich das Zimmer teilte, wünschen, dass jede von ihnen vom Leben das bekommt, was sie verdient. Vielleicht sogar einen Stalin oder einen Putin dazu. Auch paar anderen Kollegen aus jenem Unternehmen würde es nicht schaden.

2. Meinen nächsten ehemaligen Arbeitgebern - dem Ehepaar aus einer wunderschönen Designagentur in Darmstadt, das mit mir nach meinen Erlebnissen in Saarbrücken wie mit einem Spielzeug gespielt und mich in den innerlichen und finanziellen Ruin in diesem Jahr getrieben hatte, wünsche ich nicht weniger als Insolvenz und Scheidung. Ich wünschte, dass die Ehefrau, die mich gekonnt verbal herabsetzte, endlich erfährt, was ihr Mann direkt vor ihrer Nase hinter ihrem Rücken treibt. Dank euch weiß ich immerhin, wie hohl die Menschen sind, die Werbung gestalten, und wie viel wert ihre Worte sind. Man klopft an die äußere Schale derjenigen und hört nur das sinnentleerte Nichts hallen. So viel ist auch die Werbung wert.

3. Letztlich möchte ich den Männern, unter ihnen auch paar liberal-libertären, die mir nichts als Schmerz und furchtbare Einsamkeit brachten, die man nicht mal mit den Gedichten beschreiben kann, wünschen, dass sie ihr ... nie wieder hochkriegen oder es ihnen abfällt. Danke, dass ich so desillusioniert bin und auch wenn verbrannt, unglaublich zart und stärker, als je zuvor.
Lasst mich und dieses Blog für immer in Ruhe.)


All meinen anderen Lesern, einfach Menschen kann ich an dieser Stelle endlich ein wunderschönes, gesundes und emotionales neues Jahr 2014 wünschen, voller guter Begegnungen, Wunder und Einfälle. Trinken wir darauf, dass niemand uns je kleinkriegen und erniedrigen kann! Die Stärke und die Schönheit der einfühlsamen Seele sind größer!

Graffiti an einer Buchhandlung in Menden im Sauerland
Bild von Mbdortmund (Eigenes Werk) [GFDL 1.2], via Wikimedia Commons

Dieses Jahr hatte mich mit drei Ereignissen besonders getroffen. Der Tod von Marcel Reich-Ranicki, der genauso alt wie mein Vater ist, brachte mich zu Tränen und tat weh, da ich den Gleichdenkenden verlor, den Gleichfühlenden, was deutsche Literatur und Heimat in Worten angeht, einen Menschen, der niemand Anderer war als ein einfacher Jude, der mir sehr nah war. Ich habe meinen Kritiker verloren, von dem ich leider nie gelesen werde und von dem ich erhoffte, aufgefordert zu sein, mich noch mehr im Schreiben zu üben, denn so viel Unglück würde ihn unwohl stimmen. Unter anderem über ihn schrieb außerordentlich präzise Maxim Biller in seinem für mich überraschend ehrlichen und selbstironischen Buch, das ich jedem empfehlen würde, "Der gebrauchte Jude" (danke an Fabian W.  für folgendes Zitat, das ich damals zufällig sah und welches mich zum überaus bereichernden Buch brachte, was die Gegenwart des Judentums in Deutschland angeht):
"In einem Moment seltener Verlangsamung von Zeit und Gedanken bemerkte ich plötzlich die Bücher. Marcel Reich-Ranicki frage mich, ob ich leben könnte von dem, was ich tue, und ich sagte Ja und guckte erstaunt über seine Schulter zum Regal, wo sie in acht, neun langen, überfüllten Reihen standen. Er allein hatte diese Bücher in den letzten fünf Jahrzehnten geschrieben - seit er wieder in Deutschland war, seit er das machen konnte, wovon er im Zug nach Polen 1938 geträumt hatte, wenn er nicht gerade Balzacs "Frau von dreißig Jahren" las, das einzige Buch, das er außer ein paar Kleidern und seinen wertlosen Judenpapieren mitnehmen durfte. Seine letzte Arbeit, die Kassetten mit den besten deutschen Romanen, Essays und Theaterstücken, wie er meinte, lagen quer in den Regalen, und auf jeder Kassette war ein Foto von ihm.[...] Aber ich dachte immer nur an die Bücher in den Regalen hinter ihm. Sie waren die Antwort, die ich von ihm brauchte, jetzt wurde es mir klar. Er, noch gottloser als mein Vater, der zumindest einmal im Jahr in die Synagoge ging, um die Lieder zu hören, die bei ihm zu Hause in Moskau im stibl heimlich gesungen wurden, er, dem Israel nicht näher war als New York oder Warschau, er, der nicht auf einem jüdischen Friedhof liegen wollte - er war der jüdischte Jude, den ich je treffen werde. Er hatte nur Worte, harte, schmetterlingszarte, spinozahafte klare Worte, mehr nicht, und keine Treppe zum Himmel, kein offenes Israelticket bei El Al. So schrieb er sich - Jude ist Jude - um sein Leben ins Leben hinein, nicht umgekehrt." (Maxim Biller, "Der Gebrauchte Jude")
Das zweite große Ereignis, das mich unbeschreiblich glücklich machte, war die Freilassung von Chodorkowski. Die verlorenen und die ihm gestohlenen Jahre wird man natürlich nicht mehr zurückerhalten, aber ich wünsche ihm nur das Beste, was ein freier Mensch erleben darf, soll und muss! Willkommen endlich in der Freiheit, lieber Michail Borissowitsch! Als das russische Fernsehen die sogar zu intimen Momente seiner ersten Begegnung mit seiner Mutter in Berlin zeigte, rührte es mich zutiefst.

Michail Chodorkowski, 2001
By PressCenter of M. Khodorkovsky and Pl. Lebedev [CC-BY-3.0], 
via Wikimedia Commons

Vor einigen Tagen am Freitag feierte ich zum ersten Mal in meinem Leben einen richtigen Schabbat im Kerzenschein zu Hause. Zu zweit. Zunächst musste aber Bonn erkundet werden. Seit so vielen Jahren Leben hier erfuhr auch ich endlich selbst viel über seine über 2.000-jährige Geschichte, konnte einen Guide spielen und nicht nur von Anekdoten bezüglich Beethoven, sondern davon berichten, dass dank Napoleon, der zwar 20 Prozent Bonner Bevölkerung bei seiner Eroberung tötete, die Juden und Protestanten hier nach geltendem französischem Recht die gleichen Rechte erhielten. Oder die ehemalige Residenz des Kurfürsten - die heutige Universität - nach Zerstörungen drei Mal aufgebaut werden sollte. Damit zum Beispiel auch solche wie ich sie später absolvieren durften. Das Wetter konnte nicht frühlinghafter sein, außer als es um den Spaziergang zum Langen Eugen ging - ein Muss an jenem Tag. Der Wind hatte uns dahin fast fliegen lassen.

Ein schöner Bonn-Spaziergang im Winter, ausgerechnet zur Musik von Tum Balalajka, findet sich in diesem Video...


Schabbat... Dass ich es feierte, war das Ergebnis des oben erwähnten Buches von Maxim Biller. Nie hätte ich gedacht, dass ein feierlich begangener Freitagabend mich im Nachhinein auch noch derart erhellen wird. Endlich durfte dich die Heimat umarmen und nicht das ferne, reizende Hong Kong. Wir zündeten die Kerzen an, du lasest das Gebet, wir tranken aus dem selben Glas den Wein, die Challa schnittest du auf, das unkoschere Essen wärmten wir auf, das ich in Aufregung fast gänzlich auf dem Teller da liess, wir tranken sogar auf die Freiheit von Chodorkowski, die russischen Süßigkeiten und dein "r" im Klang deiner ersten Sprache, die du als Kind verlassen musstest, dein süßer Akzent, der mich immer lächeln lasst... Manchmal ist die Heimat doch sehr nah, nur fünf Millimeter entfernt...

Wir hörten uns hebräische Lieder an, die Psalmen, modern vertont mit Akon, und begrüßten dadurch Schabbat ("Lecha Dodi"). Am schönsten fand ich aber das Lied der Lieder - "Das Hohelied Salomos". Nie dachte ich, dass man bereits im Tanach so zärtlich sinnlich sein konnte... 

Benyamin Brody, Diwon & Dugans "Shir HaShirim", Yehi Razton (final prayer) (Danke an Esther für diese Musik)


Die Übersetzung findet man zum Beispiel bei dem Philosophen Martin Buber: "Das Lied der Lieder".

Ich wünsche Euch eine überwältigende Inspiration und ein glückliches Jahr! Ein spanischer Filmregisseur Alvaro de la Herran ließ sich von einem Buch inspirieren, das bis jetzt alle Ladentheken bereits bedeckt hatte, mich jedoch nicht interessierte. Das Video für die spanische Ausgabe des Männermagazins "GQ" fand ich dagegen alles Andere als nicht hinreißend...

"Mine"


Wir hören uns im Neuen Jahr. Bestimmt.
Gut Rosch also!

A.