30. April 2014

Dem CERN sei Dank

Zunächst wollte ich etwas angeblich Philosophisches schreiben, vielleicht auch nicht zu Fröhliches, aus einem bestimmten Anlass, der mich eben nicht besonders erfreute. Meine Pläne dazu starben aber. Heute klingelte jemand morgens dreimal an der Tür und ich schaffte es trotzdem nicht, ihm rechtzeitig aufzumachen. Ich erwartete niemanden, meistens sind es  tüchtige Werbetreibende oder die Zeugen Jehovas, die ein Stück deiner Seele kaufen möchten. Ich rannte zum Fenster und schaute nach unten. Es war ein älterer Mann mit den langen grauen Haaren, der sich mit den Blumen in der Hand entfernte. Aus einem bestimmten Grund verstand ich, dass es nicht für jemanden Anderen, nur für mich sein könnte. Schnell zog ich mich an und lief viele Stufen hinunter, riss die Tür auf und, oh Glück, der Mann kehrte wieder zurück, aber ohne Blumen diesmal, nur, um eine Benachrichtigung zu hinterlassen. „Wollten Sie zu mir?“ – schrie ich laut in die Straße. „Ja!“ Er lachte überrascht und zufrieden, dass er den Adressaten doch erreichen konnte, und ging wieder zu seinem Wagen. Nicht mal richtig angezogen, stand ich da, wünschte mir und wusste innerlich, dass diese Blumen nur von einem Menschen sein könnten, auch wenn nichts darauf deutete. Ich habe sie überhaupt nicht erwartet. Der Mann vom Blumenladen überreichte sie mir ganz sorgsam. Noch bevor ich die Treppe zurück in die Wohnung lief, öffnete ich mit dem lauten Herzen den Briefumschlag. Ja, ich habe mich nicht geirrt. Es ist das schönste Geschenk, die schönste Überraschung, die ich je erhielt. Ich bin 35 geworden und bin einfach glücklich.

Geschrieben letzte Woche


 2 Monate alt

Bäume im Frühling sind schöner als ich

... Ein Gedankenwolkenbruch aus dem frühen April.

Wir folgten unbekannten Geräuschen aus dem Zentrum der Stadt. Neben dem Brunnen da spielte  ein alter Mann mit den langen grauen Haaren auf einem Zupfinstrument, dessen Namen ich nicht kenne. Es war anders und klang sehr anziehend, man hatte fast das Gefühl, dass gleich etwas passieren würde. Ich fühlte mich ein wenig verloren und drehte mich suchend um. Es ereignete sich aber nichts. Wir spazierten und sprachen, gingen zu einem alten kleinen Friedhof, wo Clara und Robert Schumann ihre Stätte bekamen, setzten uns auf eine Bank dort im Schatten und erzählten uns, was jeder in den letzten Jahren durchlebt hatte. Das letzte Mal habe ich meine Begleiterin vor drei Jahren gesehen, danach geschah Einiges. Unweit von uns wurde ein Film gedreht, es gab Besucher mit den Blumen und wir sprachen ausgesprochen leise, flüsterten. Es war seltsam, andererseits das Menschlichste, was man nur tun könnte, das Beruhigendste wegen der Stille dort. Sie meinte: "Ach, sie hätten doch nichts dagegen, von den Problemen der Lebenden zu erfahren. Sie hatten sie früher bestimmt auch…" Das Wichtigste, was ich an diesem Abend für mich wieder verstand, war, dass unser Leben viel zu kurz sei, sich in den Nebensächlichkeiten zu verlieren, und wir Menschen, die uns wichtig sind,  erfreuen sollten, sie glücklich machen. Bevor es zu spät wird. 

Auf dem Rückweg durch die Rheinbrücke in Bonn entdeckte ich unerwartet folgende Zeilen auf Russisch, gekritzelt mit einem schwarzen Marker... Zunächst ging ich weiter, es beschäftigte mich aber und ich kehrte nach 20 Schritten wieder zurück, stand da und konnte nicht fort... Es sind Worte des großen russischen Dichters Sergej Jessenin gewesen. 


Übersetzt bedeutet es:

Den Groben wird Freude gegeben,
Den Zärtlichen Traurigkeit.
Mir selbst ist nichts vonnöten,
Niemand tut mir leid...

Daneben stand etwas in einer Sprache, die mich an Hebräisch erinnerte.

Ane Brun "To let myself go" (Kaiben Remix)

 
Und dann fing der Frühling an. Die Fenster wurden nur deswegen gewaschen, um frische Blätter sehen zu können, jeden Tag, in einem Mix aus weißen bis weißgrauen Wolken, welche aus einem kaputten Zuckerwattegerät auf die blaue Wiese geschleudert wurden. Darin besteht ihre unordentliche Schönheit. Wenn man sich kurz entspannt, werden oben Tiere sichtbar, heute war es eine Katze, eine weiße, wattige Katze mit den Ohren. Nein, ich bin nicht verrückt und nichts Romantisches wäre das gewesen, bloß Spiele für ermüdete Augen sind es immer, wenn ich den Himmel sehe. Abends riecht ein Baum in der Nähe besonders, ich nehme an, es ist eine Linde, dunkelsüß, schwer, aber nicht unangenehm. Diese Gerüche werden mit in die Wohnung genommen, nicht auf der Kleidung, eher im Kopf, auch wenn sie längst vorbei sind. Ist es nicht so, dass Gerüche einen Teil unseres Lebens ausmachen? Ohne sie wäre man irgendwie unvollständig. 









* * *  
Dunkles aus meinen Augen will entwischen, 
Es will weinen und sich vor dir verkriechen. 
Ich verliere mein Licht, bald erblinde, Liebster, 
Deine Schönheit kann nicht mehr verwirren. 
Dunkles aus meinem Herzen wird nicht länger lärmen, 
Es wird mein finsteres Herz an keins kleben - 
Mit den Tränen eines einsamen Tieres, 
Das beim Träumen verraten wurde, 
Fremd den Menschen. 
Mit den Stücken verstümmelter Flügel 
Steht es hier und erwartet dich, 
Sich belügend. 

01. April 2014 




* * *
Meine Treue trägt seltsame Stoffe, 
Meine Treue führt dich zum Altar. 
Nie war deine an meine gebunden, 
Deine Treue gehört mir nie an. 
Sie ruft laut zu mir: Sei doch frei. 

01. April 2014 




* * *
Dich lieben ist das Schwierigste, was ich zu tun habe. 
Dich lieben, ohne dich zu berühren. 
Dich wollen ist das Schmerzhafteste, was ich je erlebt habe. 
Dich wollen, ohne dich zu fühlen. 

01. April 2014


Okean Elzy "Umarme mich"   
(Engl. Übersetzung aus dem Ukrainischen ist im Video)


Bilder sind von Ann. 

Nächtliches Blühen



 




London Grammar "Nightcall" 

Eine andere Ukraine

Wer einen Einblick in den Osten der Ukraine bekommen möchte, hat mit diesem deutschen Film eine unglaublich schöne Gelegenheit dazu. Er zeigt das einfache Volk - die Schachtarbeiter in Donezk, aber auch die Elite nach der Orangenen Revolution, direkt, wie es ist, mit einer authentischen Prise Humor. Denn alle sind große Fußballfans. Ich persönlich hatte meine große Freude daran. Die Dokumentation lief gestern im ZDF und es hat mich überrascht, solch ein Meisterstück im Kleinen Fernsehspiel  zu entdecken.

"The Other Chelsea" (2011)
Online in der ZDF-Mediathek

24. April 2014

Heartbreaktown

"Tell me about your despair, yours, and I will tell you mine..."  

Als es den Tag der Poesie gab, schnappte ich irgendwo die Antworten nach der die Lesenden berührenden Lyrik auf. Eins davon waren paar Zeilen aus dem folgenden Gedicht. Ich suchte danach und wurde fündig.

"WILD GEESE"
by Mary Oliver
You do not have to be good.
You do not have to walk on your knees
For a hundred miles through the desert, repenting.
You only have to let the soft animal of your body
love what it loves.
Tell me about your despair, yours, and I will tell you mine.
Meanwhile the world goes on.
Meanwhile the sun and the clear pebbles of the rain
are moving across the landscapes,
over the prairies and the deep trees,
the mountains and the rivers.
Meanwhile the wild geese, high in the clean blue air,
are heading home again.
Whoever you are, no matter how lonely,
the world offers itself to your imagination,
calls to you like the wild geese, harsh and exciting --
over and over announcing your place
in the family of things.

Nina Kinert "Heartbreaktown"

15. April 2014

Chag Pessach Sameach!

Mir persönlich würde ich wünschen, meinen alten Vater auch nächstes Jahr bei den Seder-Vorbereitungen umarmen zu können, wie diesmal. Euch allen wünsche ich ein schönes Fest! Oft liest man auf Russisch, dass Pessach ein Fest des jüdischen Frühlings wäre. Dabei muss ich immer lächeln: Wenn man vom jüdischen Glück redet, meint man das Gegenteil davon. Was wäre dann der jüdische Frühling… Daher, damit es keinen Winter mit sich herbeiführt, ein Fest der Freiheit soll es für jeden sein und werden, in kleinen oder großen Begriffen dieses Wortes. Viel Glück! 
Anna